Surreales am Rhein

Manchmal gibt’s diese Stimmungen, in denen mir alles leicht surreal vorkommt.


Vielleicht, weil der Hochnebel heute eine besonders fiese, bleierne Qualität hat, vielleicht weil der drängende Frühling, der sich in Kirschbaumblüten manifestiert und wilden Veilchen, die aus jeder Mauerritze spriessen, mit Schneeflocken in Konkurrenz liegt, die wie Fallschirmspringer versuchen, das bereits verlorene Terrain zurückzuerobern, vielleicht auch nur, weil ich meinen Sonntagsspaziergang heute am Montag mache.


Mitten auf dem bleiernen Band des Rheines schwimmen zwei Luftballons, ein grüner und ein blauer. Die Strömung des Wassers will sie flussabwärts tragen, der Wind, der in die Gegenrichtung weht, hält sie an Ort und Stelle. Wie ein Tanzpaar kreisen sie umeinander, hüpfen leicht auf den Wellen, seltsam deplatziert und unentschieden, wohin die Reise gehen soll.


Ich beobachte sie eine Zeit lang, warte, ob der Wind vielleicht schwächer wird und die Strömung die kreisenden Ballons davonträgt, oder aber eine Bö sie in die Luft hebt und in die andere Richtung weht. Aber nichts verändert sich, sie bleiben an der gleichen Stelle, kreisen nur immer weiter.


Ich wandere flussaufwärts, vorbei am verwaisten Rheinbadehaus, an halb mit Wasser gefüllten Booten, die an orangen Bojen dümpeln, dann überquere ich den Fluss auf der Eisenbahnbrücke und gehe auf der anderen Seite, diesmal mit der Flussrichtung, zurück.


Die Möwenschwärme, die den Winter über mit ihrer lärmenden Präsenz das Rheinufer dominierten, scheinen sich bereits wieder nordwärts verzogen zu haben, nur ein paar einzelne Exemplare lassen sich in Ufernähe treiben, auch sie wirken seltsam unentschlossen und träge.


Ein Schwanenpaar ruht auf dem schmalen Sand und Kiesstreifen, den die Basler manchmal auch halb scherzhaft Rhy-viera nennen und eine Krähe ärgert den einen, indem sie immer wieder von hinten an ihn heranhüpft um ihn an den Schwanzfedern zu zupfen.

 

Der Schwan erweist sich indessen als fast genauso passiv wie die kreisenden Ballone, die nun wieder in Sichtweite und offenbar noch immer an der gleichen Stelle sind, hackt nur halbherzig nach dem Störenfried.

 

Dann endlich watet er etwas weiter ins Wasser und die Krähe, die es offenbar nicht erträgt, nasse Füsse zu bekommen, gibt auf und macht sich frustriert krächzend davon.


Mein Gefühl, in irgendeinem ziemlich schrägen Videoclip gelandet zu sein, steigert sich als ich später in der Strassenbahn auf dem schmalen Vorsprung unter dem Fenster neben meinem Sitzplatz, ordentlich aufgereiht, sechs Muschelschalen entdecke, zwei grössere und vier kleine, die wie eine exotische Touristenfamilie eine Stadtrundfahrt im Basler Tram unternehmen und neugierig nach draussen spähen.

 

Auch ich schaue über sie hinweg hinaus, als die Strassenbahn auf der Wettsteinbrücke über den Rhein fährt. Auf dem schmalen Kiesstreifen am linken Flussufer liegen zwei Luftballons, ein grüner und ein blauer. Eine Krähe hüpft aufgeregt um sie herum.


Hinter mir quakt jemand laut in sein Mobiltelefon.

Ich seufze erleichtert.

 

Wenigstens etwas scheint heute normal zu sein.